Anti-Kriegs-Lyrik von der Welt

René Oberholzer, Schreibt seit 1986 Lyrik, seit 1991 auch Prosa.

War Mitbegründer der literarischen Experimentiergruppe "Die Wortpumpe" (mit Aglaja Veteranyi) und der Autorengruppe Ohrenhöhe, ist Mitbegründer der „Tischkante 16“, Mitglied der Autoren der Schweiz (AdS) und des Zürcher Schriftstellerverbands (ZSV). Erhielt 2001 den Anerkennungspreis der Stadt Wil für sein literarisches Schaffen und 2022 den 23. Nahbellpreis des G&GN-Instituts in Düsseldorf für das lyrische Gesamtwerk.

Geschichtsträchtig

Es ist nur ein Baum
Dieser Punkt in der Landschaft
1940 der Zweite Weltkrieg
Deutsche Soldaten als Besatzer

Unter dem Baum
Haben sich viele geküsst
Die ewige Liebe geschworen
Ringe an die Finger gesteckt

Es ist nur ein Baum
Der viel gesehen hat
1944 weibliche Glatzköpfe
Erschiessungen

Im Frühling blühen Rapsfelder
Im Winter liegt Schnee
Verdeckt die Spuren des Krieges
Bis zum nächsten Frühling

Es ist nur ein Baum
Stumm wie seine Verwandten
In der friedlichen Umgebung
Da kann man sich gut erholen

Die Kirche steht noch im Dorf
Es gibt ein Kreuz auf dem Hügel
Es gibt einen kleinen Laden
Das Leben ging weiter

Es ist nur ein Baum
Sein Schatten ist lang
Seine Äste sind gefährlich
Da konnte man hängenbleiben

Ich betrachte die Rinde
Ein eingeritztes Herz
1948 nach dem Krieg
Rudolf + Suzette

Es ist nur ein Baum
Und doch ist er älter als alle
Ein Zeuge von damals
Der Bauer will ihn fällen

Weg mit diesem Schandfleck
Ein neues Dorfimage muss her
Die Kirchturmglocke schlägt
Es ist Viertel nach Zwölf

Es ist nur ein Baum
Ab und zu wird er fotografiert
Fremde aus dem Ausland
Bringen aber fast kein Geld

Ein alter Mann im Dorf
Der kaum mit jemandem spricht
Kennt viele Geschichten
Auch die der Kollaborateure

Es ist nur ein Baum
Ein Strich in der Landschaft
Nicht mehr lange
Bald schon Geschichte

Der Antrag

Der Krieg ist
Der Vater aller Dinge
Sagt man

Ich beantrage
Ich weiss nur nicht wo
Vollwaise zu werden

Zerbrochen

Der Krieg hat mich
Er hat mich
Der Krieg
Man sieht es mir nicht
Der Krieg ist ein
Das Leben geht zwar
Aber nur halb
Wenn überhaupt
Der Krieg ist
Das Gegenteil von
Ich versuche
Aber da sind diese
Der Krieg ist zwar
Aber doch immer
Ich versuche jetzt
Falls es mir
Wenn überhaupt
Gelingen sollte

Die von Gurs

Ich bin so cool
Hinter mir schneit es

Ist in weissen Buchstaben zu lesen
Auf einem T-Shirt in einem Schaufenster

Später im fast verwaisten Museum
Eine Ausstellung über das Lager Gurs

Menschen erlitten Geschichte
Und malten gegen den Terror an

Die jetzigen Flüchtlinge vor Ort
Gingen mit Flip-Flops umher

Sagt die alte Frau an der Kasse
Und die Kirche schweige wie damals

Draussen schneit es
Kälte macht sich breit

Schreibtischtäter

Auf diesem Tisch
Die Kriegserklärung
Unterschrieben

Auf diesem Tisch
Die Kapitulation
Unterschrieben

Auf diesem Tisch
Den Frieden
Unterschrieben

Und im Exil
Einen neuen Tisch
Zum Schreiben gefunden

Verbrannte Erde

Wie Striche in der Landschaft
Vögel auf dem Feld
In der Nähe der Stadt

Wie Striche in der Landschaft
Kreuze auf dem Feld
In der Nähe des Waldes

Wie ein Strich in der Landschaft
Ein Überlebender
Umzingelt von Gräbern

Männerrunde

3 Männer sitzen
Im Halbkreis
Am Meer
In der Sonne
Trinken Wein

3 Männer sitzen
Im Halbkreis
Sprechen leise
Lehnen sich zurück
Bräunen sich

3 Männer sitzen
Im Halbkreis
Mit Mützen
Und Sonnenbrillen
Planen einen Krieg

Fremd

Nach Hause gehen
Nach dem Krieg
Aus der Gefangenschaft
Zu Frau und Kind

Nach Hause gehen
Nach dem Krieg
Voller Hoffnung
Und einem Brief

Nach Hause gehen
Sich nähern dem Rasen
Der gemäht wird
Von einem fremden Mann

Nach Hause gehen
Nach dem Krieg
Und als Fremder
Einfach kehrtmachen

Gefahrenzone

Eine Wolke
Wie ein Gesicht
Das zurückweicht

Eine andere Wolke
Wie ein Gewehr
Das auf das Gesicht zielt

Eine dritte Wolke
Wie eine weisse Fahne
Die sich dazwischenschiebt

Die Parade

Werdet selbständig
Baut Getreide an
Sagt der General

Beisst auf die Zähne
Haltet durch
Sagt der Führer

Schnallt die Gürtel enger
Esst weniger
Sagt der Diktator

Das hungrige Volk
Sitzt vor dem Fernseher
Hört zu und schweigt

Die neuen Panzer
Sollen sie einst
Im Ernstfall beschützen

Weiss lackiert

Die Eltern freuen sich
Über das neue Auto
Weiss lackiert
Zum Andenken
An ihren Sohn

Gefallen sei er
Im Krieg
So ein Auto
Hätte er sich
Immer gewünscht

Aus der Beihilfe
Für tote Soldaten
Sei das Auto bezahlt
Ziel der ersten Fahrt
Sei der Friedhof

Tröstende Worte

Mutter
Ich wollte kein Soldat mehr sein
Ich wollte nicht sterben

Mutter
Er hat uns alle belogen
Er hat uns zu Krüppeln gemacht

Mutter
Ich habe mir ins Bein geschossen
Ich wollte raus aus der Hölle

Mutter
Ich liege im Krankenhaus
Ich werde ein Bein verlieren

Mutter
Du musst nicht traurig sein
Ich lebe noch

Im Doppel

Wenn die Leiche deines Feindes

Langsam vorbeischwimmt

Und du dich darüber freust

Dann ist es Zeit aufzustehen

Die Schaufel zu nehmen

Und zwei Löcher zu graben

Eines für deine Freude

Und eines für dich

Saint-Tropez

Der Himmel über dem alten Hafen
Ein hellblaues Zelt

Die Häuser an den Uferstrassen
Kulissen für ein Theaterstück

Es könnte den Titel tragen
Der gleichgültige Frieden

Verdrängt

Kein Wort
Über das Familiengeheimnis
Kein Wort
Über den Krieg
Kein Wort
Über den Grossvater
Kein Wort
Über die Wehrmacht
Kein Wort
Über die jüdische Grossmutter
Kein Wort
Über die Gaskammern
Kein Wort
Über die Asche

Feindbild

Im Unterholz warten
Mit scharfen Waffen
Und Nachtsichtgeräten
Warten auf den Feind
Lange sehr lange

Schliesslich
Die Übung abbrechen
Zeckenalarm

Imagine

In diesem Zimmer
Fehlt John
Fehlt Yoko
Fehlst du

In diesem Zimmer
Fehlt die Melodie
Fehlt die Musik
Fehlst du

Und doch ist
In diesem Zimmer
Imagine
Bist du

René Oberholzer, geb. 12.04.1963 in St. Gallen, lebt als Oberstufenlehrer und Autor in Wil SG (Schweiz), 7 Bücher veröffentlicht, letzte Publikation: "Analphabeten der Liebe" (Edition Isele, Eggingen, 2023); Homepage: www.literaturport.de/en/lexikon/rene-oberholzer/

Von Dolores Linggi, doloreslinggi.ch

Krieg und Frieden

Ich gehe den Schatten nach

den leisen Krieg im Ohr

der Nächte unerträglich macht

den Schmerz des Kindes im Bett

an den Fusssohlen harte Haut

an den Flanken klebt noch Lob

vom letzten Lover

am Rückgrat hauchfein

die zärtliche Spur

von Fingerkuppen

hinterlegt und eingebrannt

gespeicherter Vorrat an Zärtlichkeiten

und unerträglichem Glück.

Oben Frieden

Am Morgen der Himmel blau

von diesem blassen Sommerblau

noch blinzelt die Nacht obenauf

ein zartes Augenzwinkern

bevor sie gänzlich weicht

ich vom Bus ausgespuckt da stehe

in diesem fremden Geraniendorf

mit puppenhäuserähnlichen Vorgärten

die Blüten voller Tau

schwer die Köpfe

still die Zwischenräume

still wie Frieden ist.

Flüchtlinge

Wieder ist ein Boot gesunken

faltenfrei berichtet die Zeitung

neben mir sitzt eine junge Frau

und schminkt sich ein Gesicht

im fahrenden Zug

später cremt sie sich die Arme ein

müde senkt die Öffentlichkeit den Blick.

Beitrag von Waseem Hussain

Von Markus Götz

Der Krieg, der Krieg, der ist weit weg.

Lass mich in Ruh,

da ich mich leg, gleich darnieder auf mein lieb Ohr,

so dass ich davon gar nichts hör.

Ist‘s menschlich, sich davor zu verschliessen,

dreht‘ ich sonst durch und würd‘ mich verdriessen.

Bald kommt der jüngste Tag benommen,

und mir wird gewahr, wie beklommen,

hätt ich doch etwas unternommen,

nun ist zu mir der Krieg gekommen.